Meinung

Saturn, 90er, PC-Abteilung: Promoter

"Ich arbeite hier nicht."

Wer kennt es nicht: Ihr seid im Saturn, oder sonst einem Laden, habt eine Frage, fragt den erstbesten Menschen mit Namensschild und hört ein genervtes "Ich arbeite hier nicht." Stimmt aber nur teils ...

Zur Kolumne "Saturn, 90er, PC-Abteilung"

Nach längerer Pause wieder da - und schon ist die Episode zu lang geworden, sorry 🥺 Ab sofort gib's Sonntags wieder Nachschub mit ein paar Zeichen weniger.

Nicht-Mitarbeiter/-innen

Im Saturn arbeiten bisweilen nicht nur Saturn-Mitarbeiter. Es gab bei uns regelmäßig zwei externe Fraktionen: Die einen sind verschwitzt, meist mindestens zu zweit, streng riechend und häufig auch zum Beispiel im Rewe anzutreffen - die Rack-Jobber.

Rack-Jobber bestücken Regale mit Waren, oft im Auftrag der Hersteller. Den ganzen Tag Waren zu transportieren, nicht selten in zu warmer "Uniform", ist eine schweißtreibende Angelegenheit. Und wenn nach ein paar Stunden die ersten Liter Schweiß eingetrocknet sind, wird es halt geruchsintensiv - können die Leute nichts gegen machen, seht's ihnen nach, sie räumen die Waren für Euch ein!

Auch die Rack-Jobber werden regelmäßig ein "Ich arbeite hier nicht." von sich geben, wenn mal wieder jemand nach dem genauen Standort von Cornichons fragt. Aber um die geht es hier nicht.

Sondern um diesen Archetypen: In den 20ern, gelangweilt, allein, Namensschild und hinter einem Produktstapel verschanzt - Promoter.

Promoter im Einsatz

Promoter waren häufig Studenten, die damals insbesondere von Drucker- und Handy-Herstellern als verkaufsfördernde Maßnahmen in die Märkte geschickt wurden. Die waren dann meist von Donnerstagnachmittag bis Samstag vor Ort.

Und nun schließt mal die Augen (vielleicht erst nach Satzende ...) und stellt Euch die Situation vor: Samstag, 14.00 Uhr, die Abteilung ist proppenvoll, locker 10 Kunden pro Verkäufer, 0 Prozent Luftfeuchtigkeit, 30 Grad, überall tönt Musik, piepsen Geräte, rollen Ameisen mit Paletten voller Monitore und Waschmaschinen durch die Gänge - und alle Kunden wollen nur noch eines: Ihren Scheiß erledigen und raus aus dem Laden. Oder ihr verdammtes Fischbrötchen vom Markt verspeisen und sich dabei vom Personal unterhalten zu lassen ...

Und mittendrin ein Typ mit Namensschild - oha, ein freier Verkäufer, auf ihn! Also wird der arme Kerl im Minutentakt genervt: Was kostet die Maus? Welches Kabel braucht meine Ladeschale? Wann kommt wieder frische Tinte? "Ich arbeite hier nicht."

Die schlimmere Antwortvariante: "Ich arbeite hier nicht - fragen Sie den da." Also steht zwei Sekunden später der Kunde vor mir, ich bin schließlich "Der da" und der Kunde quatscht auf mich ein. "Entschuldigung, ich bin gerade noch in einem Gespräch, eine Minute bitte." "Aber der da hat gesagt, ich soll Sie fragen." Und schon ist die Kacke am Dampfen.

Und nicht wenige Promoter, die anfangs gelangweilt ihren Stand aufgebaut und sich auf zweieinhalb ruhige Arbeitstage ohne Aufsicht gefreut haben, waren nach den ersten Stunden ziemlich fertig mit den Nerven.

Nun, natürlich gab es auch die wirklich guten Promoter, die die Vorteile des Jobs zu schätzen wussten: Kein Vorgesetzter weit und breit, keine wirklichen Verpflichtungen den Kunden gegenüber, tendenziell wird man nie wieder in dem Laden sein und dazu wurde das Ganze auch noch recht gut bezahlt. Und gerade diese haben sich dann auch oft wirklich reingehängt und ganz entspannt ihren Krempel unter die Leute gebracht.

Drucker und Handys

Fast jede Woche waren Abgesandte von HP, Canon oder Epson für Druckerpräsentationen vor Ort - da wurde tatsächlich den ganzen Tag durchgedruckt, schließlich war die ganze Technik recht neu, ziemlich teuer und von Hersteller zu Hersteller total unterschiedlich - ohne Testdruck hat kaum jemand einen Drucker gekauft.

Ebenso populär: Promoter für Handymarken, Siemens, Nokia etc., beziehungsweise Mobilfunkverträge. Die hatten es eigentlich besonders gut: Handys hatten eh einen eigenen Verkaufsstand und dahinter waren sie ein wenig abgeschirmt von den bösen Kunden. Aber sie haben für massig Arbeit gesorgt: Zum einen haben sie ständig den verdammten Alarm ausgelöst - der Mist ging immer los, wenn ein Handy auch nur schief angeguckt wurde. Zum anderen haben sie Kunden Verträge aufgeschwatzt - durften sie aber natürlich nicht selbst abschließen - diesem manchmal aberwitzigen Prozedere widmet sich die nächste Folge.

Aus Verkäufersicht waren eigentlich nur die gestandenen, schnell gelangweilten Vollprofis angenehm. Statt "Ich arbeite hier nicht." gab es für Kunden dann tatsächlich Beratung - auch für Produkte, von denen die Promoter kaum Ahnung hatten. Vermutlich besser als gelangweilt hinter dem Produktstapel zu versauern. Und Gratisunterstützung fürs Personal.

Off-Topic: Land vs. Stadt

Einer Promoterin habe ich jedenfalls eine interessante Erkenntnis zu verdanken. Wir hatten uns über Land vs. Stadt unterhalten und hatten lustigerweise dasselbe Problem, nur unter umgekehrten Vorzeichen.

Ich als Landei fand damals Städte immer irgendwie beklemmend. Alles voller Häuserschluchten, meist kann man kaum mehr als ein paar Dutzend Meter weit sehen und raus in ein größeres Areal dauert ewig. Für sie als Städterin war hingegen das Land beklemmend - im Sinne von mitten im Nichts festzusitzen. Es passiert einfach mal, dass man nach irgendeiner Scheunenparty aufwacht, die nächste Bushaltestelle einen Kilometer weit weg ist, der nächste Bus erst morgen kommt und die Frage ansteht: Wie überbrücke ich jetzt die 10 Kilometer nach Hause?

Wie das immer so ist, die eigene Heimat wirkt halt kleiner. Schul- und Arbeitswege wirken auch kürzer, wenn man sie hundertmal gefahren ist.

Egal, Schluss für heute, ist eh zu lang geworden - aber es gab ja auch eine längere Pause. Die Promoter sind übrigens auch für die nächste Episode verantwortlich: Hinterzimmer-Deals.

Mirco Lang

Freier Journalist, Exil-Sauerländer, (ziemlich alter) Skateboarder, Dipl.-Inf.-Wirt, Einzelhandelskaufmann, Open-Source-Nerd, Checkmk-Handbuchschreiber. Ex-Saturn'ler, Ex-Data-Becker'ler, Ex-BSI'ler. Computer-Erstkontakt: ca. 1982 - der C64 des großen Bruders eines Freunds. Wenn Ihr hier mehr über Open Source, Linux und Bastelkram lesen und Tutonaut unterstützen möchtet: Über Kaffeesponsoring via Paypal.freue ich mich immer. Schon mal im Voraus: Danke! Nicht verpassen: cli.help und VoltAmpereWatt.de. Neu: Mastodon

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